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Expertenkolumne 15.11.2022 14:59:54

Offensive gewinnt Spiele - Defensive Meisterschaften

Offensive gewinnt Spiele - Defensive Meisterschaften

Die Volatilität an den Kapitalmärkten hat in den letzten Monaten erheblich zugenommen.

Für Anlegerinnen und Anleger ist es deshalb an der Zeit, sich die populäre Weisheit aus dem Sport zu Herzen zu nehmen, dass die Offensive zwar Spiele gewinnen kann, aber eine gute Defensive für das längerfristige Ziel der Meisterschaft unverzichtbar ist.

Doch in dem aktuellen Marktumfeld scheint das leichter gesagt als getan. Denn die klassische Verteidigungslinie in einem Portfolio, die Obligationen, haben in den letzten zwölf Monaten einen historischen Crash erlebt. Die Renditen der 10-jährigen Schweizer Obligationen sind beispielsweise in etwas mehr als einem Jahr von -0,25 Prozent auf 1,25 Prozent gestiegen. Der weltweite Kursverfall der Rentenpapiere ist so dramatisch, dass allein in diesem Jahr in einem klassischen globalen Mischfonds die festverzinslichen Papiere einen ähnlich hohen Anteil an den Gesamtverlusten haben wie die Aktien.

Sind Rentenpapiere nach dem Crash schon wieder attraktiv? Eine Schlüsselrolle nimmt sicherlich die explosive Entwicklung der Verbraucherpreise ein. Die expansive Fiskalpolitik in der COVID-Krise, Angebotsengpässe und der Krieg in der Ukraine haben wie in einem perfekten Sturm die Inflation sowohl in Europa als auch in den USA über 8 Prozent getrieben. Die Zentralbanken mussten letztendlich eingestehen, dass die Inflation das Hauptproblem der Wirtschaft ist und deren Bekämpfung priorisiert werden muss - trotz grösser werdenden Rezessionsrisiken. Mit der Abkehr der Zentralbanken von der strukturell expansiven und unterstützenden Geldpolitik der letzten 12 Jahre sind den Obligationen nun eine wichtige Stütze abhandengekommen.

Der Pfad der zukünftigen Geldpolitik ist deshalb eine entscheidende Einflussgrösse, ob Obligationen für ein Investment wieder interessanter werden. Die restriktive Zinspolitik führt schon jetzt zu einer signifikanten Verlangsamung in der Wirtschaft. Die Immobilienmärkte kühlen sich merklich ab und die Konsumnachfrage wird schwächer. Öl- und Kupferpreise sind inzwischen auch 30 Prozent tiefer gegenüber ihrem Frühsommerhoch. Je schwächer die Konjunktur wird, desto niedriger dürfte dann auch der Inflationsanstieg ausfallen, weshalb der Zeitpunkt, an dem Zentralbanken die Priorisierung des Risikos und damit ihre Zinspolitik verändern werden, näher rückt.

Ein zweiter Treiber des Crashs war die enorme Überbewertung des Rentenmarktes im vergangenen Jahr. Auch hier haben Zentralbanken eine entscheidende Rolle gespielt. Durch jahrelange massive Anleihenkäufe und Nullzinspolitik wurden die Renditen weltweit auf absurd niedrige Niveaus gedrückt. Anfang 2021 hatten mehr als ein Drittel aller Industrieländer-Staatsobligationen eine negative Rendite. Die Nachfrage privatwirtschaftlicher Investoren war zu diesen Zinsen entsprechend gering.

Doch wie steht es um die Bewertung der Renten heute? Ein guter Indikator für die Attraktivität 10-jähriger Anleihen sind die Realrenditen, also Nominalrenditen abzüglich Inflationserwartungen. Der handelbare Inflationsswap für die Inflation in 10 Jahren preiste per 31. August eine Inflation von 2,5 Prozent für die USA ein. Das bedeutet, bei aktuellen Nominalrenditen von 4 Prozent bei US-Treasuries sind die Realzinsen mit +1,5 Prozent wieder positiv und damit attraktiver geworden. Noch vor einem Jahr war der langfristige Realzins mit -1,1 Prozent negativ.

Anleihen mit hoher Qualität und flexible Rentenstrategien sind deshalb nach dem Crash wieder attraktive Bausteine für das Portfolio geworden, mit mehr Renditepotential und deutlich verbesserten Defensivqualitäten.

Tilmann Galler ist globaler Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management

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