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Experten-Kolumne 03.05.2022 09:05:19

Ist die Straffung der Geldpolitik eingepreist?

Ist die Straffung der Geldpolitik eingepreist?

Im bisherigen Jahresverlauf ist die Rendite 10-jähriger Staatsanleihen um rund 130 Basispunkte gestiegen dabei handelt es sich um die grösste Zunahme seit den 1990er-Jahren. Ist das volle Ausmass der Straffung der Fed-Politik nun eingepreist?

Wenn wir einen Schritt zurücktreten und den aktuellen Zustand der US-Wirtschaft im Vergleich zur Bewertung der Fed-Politik durch den Markt betrachten, sind wir heute viel näher dran als noch vor sechs Monaten, aber selbst dann sind wir nicht der Meinung, dass es so weit ist, wie es sein sollte. Der Arbeitsmarkt ist angespannt, die breiter gefasste U-6-Arbeitslosenquote, die auch die Unterbeschäftigten und diejenigen zählt, die die Arbeitssuche aufgegeben haben, liegt bei 6,9%. Dies ist beinahe der niedrigste Stand seit Jahrzehnten, während es im Verhältnis zu den Arbeitslosen fast doppelt so viele offene Stellen gibt. Die Nominallöhne sind im Jahresvergleich um 5,6% gestiegen und damit liegen sie deutlich über dem Inflationsziel der Fed und steigen so schnell wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Zudem gibt es in der US-Wirtschaft einen erheblichen Geldmengenüberschuss. Nach dem Covid-Schock ist der Überschuss um etwa 20% pro Jahr gewachsen als Folge der Covid-bezogenen Stimulierung durch die Zentralbank und die Regierung. Es handelt sich und eine Wachstumsrate, die in den verfügbaren Daten noch nie zuvor beobachtet wurde. Wir sind der Meinung, dass diese Dynamik sowie die Folgen der tragischen Ereignisse in der Ukraine (höhere Rohstoffpreise und Unterbrechung der Versorgungskette) die zugrundeliegende Inflation weiter antreiben werden. Das bedeutet, dass die Fed mehr tun muss, um die Inflation zu bekämpfen. Wir gehen davon aus, dass die Fed die Straffung der Geldpolitik so lange fortsetzen muss, bis sich die langfristigen Realzinsen endgültig in den positiven Bereich bewegen, d. h., wenn die Rendite der 10-jährigen US-Treasuries über dem 10-jährigen Breakeven-Inflationsniveau liegt. Da die Fed davon ausgeht, dass das risikolose Zinsniveau bei 2,5% liegt, würde das implizieren, dass die Zinsen und die Zinsstrukturkurve der US-Staatsanleihen deutlich über diesen Wert steigen werden.

Es darf nicht vergessen werden, dass die Schätzung von 2,5% auf Vermutungen beruht, die möglicherweise nicht ganz zutreffend sind, da sich die US-Wirtschaft während eines Grossteils des Zeitraums nach der grossen Finanzkrise in einem Deleveraging-Zyklus befand. Das rückläufige Bevöl-kerungswachstum im erwerbsfähigen Alter verlieh zusätzlichen Gegenwind. Strukturell scheint die US-Wirtschaft nach dem Schuldenabbau viel besser dazustehen. Als Folge kann es sein, dass die Schätzung der Fed des risikolosen Zinssatzes zu niedrig sein könnte. Solange wir nicht sehen, dass die US-Realzinsen sich in positives Terrain bewegen (+0,5 - 1%) und die Inflationserwartungen (implizite 10-jährige US-Breakeven-Inflationsrate) zu sinken beginnen, ist davon auszugehen, dass die Fed nicht genug tut, um den zugrundeliegenden Inflationsdruck durch eine Verlangsamung der Wirtschaft einzudämmen.

Wir sollten auch beachten, dass es einen weiteren wichtigen Gegenwind für die Preisentwicklung von Vermögenswerten gibt: Die quantitative Straffung, d. h. die Verkürzung der Fed-Bilanz wird die gegenteilige Wirkung der quantitativen Lockerung haben. Während letztere die Menge des im Umlauf befindlichen Geldes erhöht und damit die Preise für risikoreiche Vermögenswerte in die Höhe treibt, wird erstere die Menge des im Umlauf befindlichen Geldes schrumpfen lassen, was möglicherweise den gegenteiligen Effekt hat.

Autor: Iain Cunningham, Portfoliomanager im Multi-Asset-Team von Ninety One

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