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17.06.2020 06:15:10

Studie: Müssen ESG-Anleger auf Rendite verzichten?

Kolumne

Studie: Müssen ESG-Anleger auf Rendite verzichten?

Jan-Carl Plagge, PhD, Senior Investment Strategist, Vanguard Europe

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ESG-Fonds werden zunehmend beliebter, denn immer mehr Anleger wollen Umwelt, Gesellschaft und Governance in ihre Anlageentscheidungen einbeziehen *1,2. Einige streben durch ESG-Strategien höhere risikobereinigte Rendite an, andere wollen Werte zum Ausdruck bringen oder positive Veränderung bewirken. Unabhängig von ihren Motiven wollen viele Anleger wissen, ob sie bei einem Wechsel von herkömmlichen auf ESG-konforme Anlagelösungen auch ihre Renditeerwartungen anpassen müssen.

Die wissenschaftliche Literatur ist in dieser Frage gespalten: Einige Autoren behaupten, ein gutes ESG-Profil führe langfristig zu besseren Aktienrenditen, andere sind vom Gegenteil überzeugt. Zu Minderrenditen kann es dabei aus verschiedenen Gründen kommen, etwa wenn die Kosten zur Einhaltung von ESG-Standards die Vorteile überwiegen.

Andere Theorien gehen davon aus, dass ESG-Faktoren die Rendite überhaupt nicht direkt beeinflussen, weil sie entweder nicht ergebnisrelevant oder weil wesentliche ESG-Informationen durch Faktoren wie Stil oder branchenspezifische Merkmale bereits in den Marktpreisen enthalten sind3.

Neben aktienspezifischen Fragen müssen wir ESG jedoch auch im Kontext des gesamten Portfolios bewerten, da ESG-Fonds häufig einzelne Sektoren oder Unternehmen aufgrund bestimmter Praktiken oder Geschäftsbereiche aus dem Anlageuniversum ausschließen. Diese Reduzierung des investierbaren Universums kann das Risiko-/Renditeprofil der Strategie negativ beeinflussen.

ESG wird immer mehr zu einem gesellschaftlichen Thema. Zweifellos wird daher die Zahl der institutionellen und privaten Anleger steigen, die durch ihre Anlagen auch Werte ausdrücken wollen. Somit dürfte auch die Frage weiter an Bedeutung gewinnen, ob sich das Risiko-/Renditeprofil von ESG-Fonds beständig von dem des Marktes insgesamt unterscheidet.

Wie unsere Analysen gezeigt haben, können ESG-Fonds in ihrer Wertentwicklung sehr deutlich vom Markt abweichen. In vielen Fällen ist dies auf Stilunterschiede und/oder abweichende Branchengewichtungen zurückzuführen, weshalb Anleger mit ESG-Fonds wohl unterschiedlich hohe Risiken eingehen.

Unsere Untersuchungen zeigen jedoch auch, dass ESG-Fonds deutlich voneinander abweichen – einige Fonds in unserer Stichprobe erzielten Mehrrenditen, andere blieben hinter dem Markt zurück. Das faktorbereinigte Brutto-Alpha unterschied sich bei den meisten dieser Fonds nicht von null. Wir konnten also Abweichungen in der Wertentwicklung feststellen, diese Unterschiede lassen sich jedoch häufig auf bekannte Faktoren zurückführen.

Rendite und Volatilität

Ein wichtiger Bestandteil unserer Untersuchung war die Analyse der Brutto-Rendite von US-Aktienfonds und ETFs, die ESG-Faktoren in ihren Anlageprozess einbeziehen. Maßgeblich für die Auswahl der Fonds war die ESG-Klassifizierung von Morningstar.

Wir haben uns bei der Analyse auf den großen und homogenen US-Aktienmarkt beschränkt, um so Verzerrungen durch länderspezifische Merkmale zu vermeiden.

Wir unterscheiden zwischen Index- und aktiven Fonds sowie zwischen Fonds mit und ohne expliziten Ausschluss von Unternehmen. Wir wollten möglichst viele Fonds analysieren und gleichzeitig möglichst weit zurückblicken. Daher haben wir unsere Stichprobe in drei Teilmengen für die Jahre von 2004 bis 2008, 2009 bis 2013 und 2014 bis 2019 unterteilt. Durch diese Aufteilung konnten wir auch Fonds erfassen, die erst vor Kurzem aufgelegt worden sind.

Zunächst haben wir nur die offensichtlichen Unterschiede bei Bruttorendite und Volatilität (Standardabweichung) aller Fonds und Zeiträume gegenüber dem FTSE USA All Cap Index untersucht und für beide eine deutliche Streuung innerhalb der gesamten Stichprobe festgestellt.

Dabei haben wir jede denkbare Kombination gefunden: ESG-Fonds mit höherer Rendite bei höherem Risiko, mit niedrigerer Rendite und geringerem Risiko sowie Fonds mit höherer Rendite bei geringerem Risiko und niedrigerer Rendite und höherem Risiko (jeweils gegenüber dem Markt). Die Streuung bei aktiven Fonds war, wenig überraschend, größer als bei Indexfonds. Insgesamt deuten die ersten Ergebnisse unserer Untersuchung darauf hin, dass ESG-Fonds weder systematisch höhere noch niedrigere risikobereinigte Renditen erwirtschaften als der Markt.

Kein faktorbereinigtes Brutto-Alpha

Anschließend haben wir diese Renditeunterschiede aufgeschlüsselt, um nach Hinweisen auf Alpha in den ESG-Fonds aus unserer Stichprobe zu suchen.

Explizite oder implizite Faktor-Gewichtungen stehen seit jeher im Verdacht, die Wertentwicklung von ESG-Fonds zu beeinflussen. Beispielsweise könnten ESG-Screens neue Technologien begünstigen, und bei den Herstellern dieser Technologien könnte es sich um vergleichsweise kleinere Unternehmen mit hohem Wachstumspotenzial handeln, was ein höheres Kurs-Buchwert-Verhältnis zur Folge hätte.

Um mögliche Stilfaktor-Gewichtungen konstant zu halten, haben wir die Wertentwicklung unserer ESG-Fonds auf das Fünf-Faktor-Modell von Fama/French regressiert: Marktfaktor, Größe, Bewertung (Value/Growth), Rentabilität (Qualität) und Kapitalinvestitionen.

Wie zu erwarten war, erwies sich der Marktfaktor für alle Fonds als hochgradig signifikant. Der Einfluss der Stilfaktoren war dagegen viel weniger beständig. Wir konnten zahlreiche Fonds mit erheblichem Stilfaktor-Exposure identifizieren, ein klares Bild ergab sich daraus jedoch nicht. Einige Fonds hatten ein statistisch signifikantes und positives Exposure auf einen bestimmten Faktor, andere hatten ein ebenfalls signifikantes, aber negatives Exposure und wiederum andere überhaupt kein nennenswertes Exposure auf denselben Faktor.

Bei aktiven Fonds war diese Exposure-Streuung etwas höher als bei Indexfonds. Ähnliche Unterschiede zeigten sich zwischen Fonds mit und ohne expliziten Ausschluss von Unternehmen: Die Streuung in der Faktor-Gewichtungen fiel bei Fonds mit Ausschluss etwas niedriger aus als bei Fonds ohne Ausschluss.

Nach der Bereinigung um Stilfaktor-Verzerrungen haben wir das Brutto-Alpha der Fonds untersucht, um mögliche unabhängige Komponenten zu identifizieren, die sich auf ESG-Elemente zurückführen lassen. Statistisch ausgedrückt, unterschied sich das Brutto-Alpha in den meisten Fällen jedoch nicht von null.

Sektor-Abweichungen

Im dritten Teil unserer Analyse haben wir uns mit abweichenden Sektorgewichtungen von ESG-Fonds und möglichen Auswirkungen auf die Wertentwicklung der Fonds beschäftigt.

So, wie ein ESG-Fonds verstärkt in neue Technologien investieren kann, kann er andere Sektoren meiden, z. B. Produzenten fossiler Brennstoffe. Um mögliche Gewichtungsabweichungen explizit darzustellen, haben wir die Sektorgewichtungen aller ESG-Fonds in unserer Stichprobe anhand der Sektorklassifizierung von FactSet ermittelt. Tatsächlich weichen viele ESG-Fonds in der Sektorallokation vom Markt ab. Finanzen, energetische Mineralien und Verbraucherdienstleistungen waren leicht untergewichtet, Gesundheitstechnologie dagegen etwas übergewichtet (jeweils gemessen am Median).

Wir haben den möglichen Einfluss dieser systematischen Branchenabweichungen anhand vierteljährlicher Performance-Daten aller Fonds über einen Zeitraum von 15 Jahren untersucht. Gemessen am Median hat sich dieser Einfluss als sehr gering herausgestellt.

Kosten haben erheblichen Einfluss auf das Alpha von ESG-Fonds

Bisher haben wir uns in unserer Analyse auf die Bruttorendite beschränkt. Als Nächstes haben wir daher auch das Netto-Alpha, also das Alpha nach Kosten, und seine Korrelation zur Kostenquote untersucht. Auch hier zeigt sich in den Ergebnissen eine erhebliche Streuung, allerdings konnten wir in unserer Stichprobe eine negative Korrelation zwischen Netto-Alpha und Kostenquote nachweisen.



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Hinweise: Korrelation zwischen Netto-Alpha und der durchschnittlichen monatlichen Kostenquote. Die monatlichen Kostenquoten entsprechen der Differenz zwischen Brutto- und Nettoerträgen. Die Grafik enthält Daten aus drei 5-Jahres-Zeiträumen: 2004 bis 2008, 2009 bis 2013 und von 2014 bis 2018. Die Fonds entsprechen denjenigen US-Aktienfonds, die laut Morningstar ESG-Faktoren in ihrem Anlageprozess berücksichtigen. Benchmark ist der FTSE USA Equity All Cap. Quellen: Berechnungen von Vanguard auf Grundlage von Daten von Morningstar, Inc. © 2020 PMR. Alle Rechte vorbehalten. Journal of Portfolio Management Vol 46 Issue 3 Ethical Investing 2020.

Abschließende Bemerkungen

Wir haben eine hohe Risiko-/Renditestreuung und hohe Heterogenität sowohl im Aufbau von ESG-Portfolios als auch im Management von ESG-Fonds festgestellt. Daher empfehlen wir Anlegern, jeden Fonds vor einer Anlageentscheidung sorgfältig zu überprüfen. Dabei sollten sie einen ESG-Fonds nicht nur in absoluten Zahlen analysieren, sondern auch mit denjenigen Fonds vergleichen, die sie im Gegenzug verkaufen oder nicht kaufen.

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Quellen:

1 Nach Angaben der Global Sustainable Investment Alliance (GSIA) ist das globale Vermögen ESG-konformer Anlagestrategien von 12,3 Billionen US-Dollar im Jahr 2012 auf 26,3 Billionen US-Dollar im Jahr 2018 gestiegen und hat sich damit in sechs Jahren mehr als verdoppelt.

2 Dieser Artikel beruht auf einer Analyse, die zuvor im Journal of Portfolio Management veröffentlicht wurde: Plagge, J.-C. und D. M. Grim. 2020. „Have Investors Paid a Performance Price? Examining the Behavior of ESG Equity Funds.“ JPM Vol 46 Issue 3 Ethical Investing: 123–140.

3 Blitz, D., und F. J. Fabozzi. 2017. „Sin Stocks Revisited: Resolving the Sin Stock Anomaly.“ The Journal of Portfolio Management 44 (1): 105–111.



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