Experten-Kolumne |
12.08.2016 16:42:02
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Sind Chinas Wirtschaftsdaten glaubwürdig?
Kolumne

Gibt die chinesische Regierung ein Wachstumsziel vor, so wird dieses regelmässig punktgenau erreicht. Das weckt Zweifel an den ausgewiesenen Wirtschaftsdaten. Doch viel wichtiger als die Höhe des Wachstums sind seine Qualität und Zusammensetzung.
Die vom Nationalen Statistikbüro in Peking publizierten Zahlen zum Bruttoinlandprodukt (BIP) sind geglättet und geschönt. Das geben sogar hohe Regierungsvertreter zu. Doch wie relevant ist die Genauigkeit der chinesischen Wirtschaftsdaten überhaupt? Das BIP-Wachstum ist der wichtigste Wirtschaftsindikator eines Landes, keine Frage. An ihm werden die Geschicke einer Volkswirtschaft gemessen und die Geldpolitik ausgerichtet. Aber seine statistische Erhebung ist komplex und mit einigen Schwierigkeiten behaftet. Zudem wird der Einfluss der New Economy auf die Wirtschaftsleistung eines Landes weltweit nur ungenügend erfasst. Das trifft vor allem auch für China zu.
Investitionen oder Konsum?
Die chinesische Wirtschaft befindet sich in einem schwierigen Umstrukturierungsprozess, weg von einem export- und investitionsgetriebenen Wachstumsmodell hin zu einem konsum- und dienstleistungsorientierten System. Dabei ist die wirtschaftliche Entwicklung des Landes enorm heterogen. Die industrielastigen Provinzen im Norden stecken in einer schweren strukturellen Krise, ihre Wachstumsraten liegen weit unter dem nationalen Durchschnitt. Die Küstenregionen, die schon einen stark entwickelten Dienstleistungssektor aufweisen, wachsen hingegen rasant. Landesweit ist der Dienstleitungssektor in China seit 2015 für die Hälfte der Wirtschaftsleistung verantwortlich, vor 15 Jahren waren es erst 40%. Neue Wirtschaftszweige, die in bisherigen BIP-Berechnungen nicht berücksichtigt werden, schiessen wie Pilze aus dem Boden.
In Bezug auf die chinesischen BIP-Zahlen sorgen auch die notorisch hohe Investitionsquote und die ebenfalls notorisch tiefe Konsumquote immer wieder für viel Diskussionsstoff. Die Investitionen werden viel zu hoch ausgewiesen, da sie viele Doppelzählungen beinhalten, was dazu führt, dass das kumulierte BIP aller Provinzen deutlich höher ist als das nationale. Der Konsum hingegen wird vom Nationalen Statistikbüro zu tief angegeben. Zudem ist es Definitionssache, ob der Kauf von Wohnungen, Möbeln und Elektroapparaten der Kategorie «Investitionen» oder «Konsum» zugeteilt wird.
New Economy wird kaum erfasst
Für die grösste Verzerrung ist jedoch die New Economy verantwortlich. Der boomende E-Commerce - also die Verkäufe über das Internet - wird nicht oder nur sehr ungenügend erfasst. Internetbasierte Wirtschaftsleistungen werden im BIP weitgehend vernachlässigt. Die Dienstleistungen sozialer Medien wie Weibo - das chinesische Pendant zu Facebook, das rund 570 Millionen tägliche Nutzer hat - sind gratis. Sie umfassen Informationen, Unterhaltung und Networking; unzählige Arten von Transaktionen und Geschäftsmodellen werden durch soziale Medien ermöglicht oder gar darüber abgewickelt. Dieser Effekt ist in China besonders ausgeprägt, da einzelne oder mehrere Entwicklungsschritte übersprungen und direkt internetbasierte Lösungen genutzt werden (Leap Frogging). Sämtliche Märkte und Konsumgewohnheiten werden von den 700 Millionen Benutzern von Smartphones grundlegend verändert. Digitale Geschäftsmodelle werden enorm schnell übernommen.
Ganz allgemein - und das trifft nicht nur für China zu - sind Innovationen und technologischer Fortschritt unter dem heutigen «veralteten» BIP-Konzept nur schwer messbar. Die Leistungsfähigkeit und Qualität von Computern zum Beispiel hat in den letzten Jahren exponentiell zugenommen, ihre Preise sind hingegen kollabiert. Erik Brynjolfsson, Ökonom am Massachusetts Institute of Technology (MIT), erklärt: «Der Einfluss des digitalen Informationszeitalters macht sich überall bemerkbar, ausser in den BIP-Statistiken.»
Doch wie hoch ist Chinas Wirtschaftswachstum wirklich? Das ist nicht klar. Grosse Teile der Wertschöpfung im Dienstleistungssektor sind in den BIP-Zahlen nicht erfasst, was bei allfällig zu hoch ausgewiesenen Wachstumsraten zu bedenken ist. Aber auch wenn das Wachstum in der Realität signifikant tiefer ist - manche Schätzungen gehen von 3,5 bis 4,5% statt der offiziell ausgewiesenen 6,5% aus -, der Trend stimmt: Das Wachstum schwächt sich ab, die Schwerindustrie serbelt und die immer wichtigere Konsumwirtschaft boomt. Und nicht die Höhe des Wirtschaftswachstums ist zentral, sondern seine Zusammensetzung und Qualität. Die chinesische Wirtschaft muss sich aufwerten, und sie ist auf gutem Weg dazu.
Matthew Sutherland: Head of Product Management Asia, Fidelity International
Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schliesst jegliche Regressansprüche aus.
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