Nach Haftbefehl gestellt |
23.06.2020 20:23:00
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Wirecard: Ex-Chef Braun gegen Kaution auf freiem Fuss - Ex-Manager musste Aktien verkaufen -- Wirecard-Aktie leitet Erholung ein
Der Staatsanwaltschaft München I hat einen Haftbefehl gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Wirecard AG beantragt und erhalten. Gegen die Zahlung einer Kaution von 5 Millionen Euro kommt Braun nun frei.
Nach ihren bisherigen Ermittlungen legt die Staatsanwaltschaft München I dem Beschuldigten zur Last, gegebenfalls im Zusammenwirken mit weiteren Tätern die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der Wirecard AG durch vorgetäuschte Einnahmen aus Geschäften mit sogenannten Third-Party-Acquirern (TPA) aufgebläht zu haben, um so das Unternehmen finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen.
Besonders im Fokus der hinsichtlich dieses Tatvorwurfs erst seit wenigen Tagen laufenden Ermittlungen stünden angebliche Bankguthaben auf Treuhandkonten bei zwei philippinischen Banken in Höhe von mehr als 1,9 Milliarden Euro. Wirecard hatte bereits eingeräumt, dass diese Bankguthaben "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen".
Nach derzeitiger rechtlicher Prüfung begründe das Verhalten des Beschuldigten den Verdacht der unrichtigen Darstellung jeweils in Tateinheit mit Marktmanipulation in mehreren Fällen, führte die Staatsanwaltschaft weiter aus.
Markus Braun will nach Angaben der Ermittler kooperieren. "Er hat im ersten Gespräch seine Mitarbeit zugesagt", sagte am Dienstag die Sprecherin der Ermittlungsbehörde, Anne Leiding. Der österreichische Manager habe sich am Vorabend selbst gestellt und sei aus Wien angereist, nachdem er wohl von dem Haftbefehl erfahren habe. Vorgeworfen werden Braun derzeit "unrichtige Angaben" in den Wirecard-Bilanzen und Marktmanipulation, doch kommen auch andere Straftaten in Betracht. "Wir führen unsere Ermittlungen ergebnisoffen", sagte Leiding dazu.
Brauns sollte am Nachmittag einer Haftrichterin vorgeführt werden, die über die Fortdauer der Untersuchungshaft entscheiden wird. Möglicherweise ist Brauns Festnahme nicht die letzte in dem Skandal um mutmassliche Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro, die den DAX-Konzern an den Rand des Abgrunds geführt haben. Der am Montag von Wirecard gefeuerte Jan Marsalek war bis vergangene Woche für das Tagesgeschäft verantwortlich. Nach Leidings Worten ist möglich, dass Marsalek nun ebenfalls per Haftbefehl gesucht wird: "Das kann ich weder bestätigen noch dementieren", sagte die Oberstaatsanwältin.
Markus Braun musste Margin Calls bedienen
Mitten in den Kursverfall der Wirecard-Aktie hinein musste der unter dem Verdacht der Bilanzfälschung stehende Ex-Vorstandschef Markus Braun sogenannte Margin Calls erfüllen. Laut vier Pflichtmitteilungen des Aschheimer Unternehmens wurden am Donnerstag und Freitag vergangener Woche dazu Wirecard-Aktien aus dem Besitz von Braun im Gesamtvolumen von gut 155 Millionen Euro zu Stückpreisen zwischen 43,96 und 26,64 Euro verkauft.
Die genauen Hintergründe für die Verkäufe gehen aus den Mitteilungen nicht hervor. Laut Medienberichten soll Braun Aktien seines Unternehmens auf Kredit erworben haben.
Die von mehreren Hiobsbotschaften gebeutelten Papiere des Zahlungsabwicklers stiegen schlussendlich um 18,82 Prozent auf 17,16 Euro - das Tageshoch belief sich auf 18,84 Euro.
Aktieninstitut warnt vor schärferer Regulierung wegen Wirecard
Das Deutsche Aktieninstitut hat bei den Vorgängen um den Finanzdienstleister Wirecard AG auch auf die Verantwortung der Anleger verwiesen und vor schärferer Regulierung gewarnt. Gerüchte und Tatbestände seien "früh schon diskutiert worden, so dass die Öffentlichkeit und auch die Anleger die Chance hatten, sich intensiv mit dem Unternehmen auseinanderzusetzen", sagte Institutsleiterin Christine Bortenlänger im Deutschlandfunk. Sie hätten damit auch das Risiko erwägen können, um "zu überlegen, ob man dort investiert oder nicht".
Bortenlänger warnte davor, wegen des Falles die Regulierung nun noch einmal deutlich zu erhöhen. "Insgesamt gelten für börsennotierte Unternehmen sehr, sehr viele Transparenzpflichten." Von schärferer Regulierung seien aber alle Unternehmen betroffen, und insbesondere für junge Unternehmen mit interessanten Geschäftsmodellen bedeute dies oftmals einen "Riesenaufwand", so die Leiterin des Aktieninstituts. "Damit muss man schon sehen, dass von Überregulierung auch ein Schaden insgesamt für die Gesellschaft entstehen kann, weil damit vielleicht Arbeitsplätze gar nicht entstehen können."
Bortenlänger sieht den Fall der Wirecard AG dennoch als bislang einzigartig an. "In der Bilanz eines DAX-Konzerns hat es so was noch nicht gegeben." Fragen müsse man nun auch dem Wirtschaftsprüfer, der Aufsicht, dem Aufsichtsrat und dem Vorstand stellen. Es sei noch keinem Rechtssystem auf der Welt gelungen, Betrug oder Fehlverhalten gänzlich auszuschließen. "Insofern wird es wohl leider auch so sein, dass wir auch in der Zukunft mit schwerem Betrug oder ähnlichen Fällen rechnen müssen."
Finanzminister Olaf Scholz räumte mögliche Versäumnisse bei der Aufsicht über Wirecard ein. "Der Fall Wirecard ist in höchstem Masse besorgniserregend", sagte er zu Reuters. "Kritische Fragen stellen sich auch der Aufsicht über das Unternehmen, insbesondere mit Blick auf die Rechnungslegung und die Bilanzkontrolle." Hier schienen Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsbehörden nicht effektiv genug gewesen zu sein.
Finanzausschuss-Chefin fordert Konsequenzen für Bafin wegen Wirecard
Die Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, Katja Hessel (FDP), hat Konsequenzen aus dem Bilanzskandal des Zahlungsdienstleisters Wirecard gefordert. "Es ist nicht nachvollziehbar, dass es zu diesem Fiasko kommen konnte, ohne dass irgendeine beteiligte Stelle stutzig wurde. Hier muss Vorsatz mit im Spiel sein", sagte Hessel den Funke-Zeitungen. Der Vorfall erinnere sie "stark an eine Posse".
Die Wirtschaftsprüfer und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) müssten sich einer kritischen Selbstprüfung stellen, sagte Hessel. Insbesondere die Bafin müsse sich mit der Frage auseinandersetzen, ob das Aufsichtssystem den Anforderungen noch gerecht werde. "Wenn schon der Bafin-Präsident von einem Skandal spricht, dann muss dies auch Konsequenzen für seine Behörde nach sich ziehen", sagte Hessel. Der Finanzausschuss des Bundestages werde sich in der letzten Sitzung vor der Sommerpause mit dem Thema befassen.
Braun kommt gegen Kaution frei
Nach einer Nacht im Gefängnis kommt der im Milliardenskandal um den Dax -Konzern Wirecard unter Verdacht geratene Ex-Vorstandschef Markus Braun auf freien Fuss. Gegen Zahlung von fünf Millionen Euro Kaution und einer wöchentlichen Meldepflicht bei der Polizei hat das Amtsgericht München den Haftbefehl ausser Vollzug gesetzt. Das teilte die Staatsanwaltschaft München am Dienstag mit.
Braun war am Vorabend in München festgenommen worden. Der österreichische Manager war freiwillig aus dem heimischen Wien angereist - mutmasslich weil er erfahren hatte, dass ihn die Staatsanwaltschaft per Haftbefehl suchte. Die Ermittler werfen Braun vor, die Bilanzsumme und die Umsätze seines Unternehmens durch vorgetäuschte Einnahmen aufgebläht zu haben. "Er hat im ersten Gespräch seine Mitarbeit zugesagt", sagte die Sprecherin der Ermittlungsbehörde, Anne Leiding. Offen ist bislang, ob sich Braun selbst zu den Vorwürfen inhaltlich geäussert hat.
Brauns Festnahme und die anstehende Freilassung sind neuerliche Wendungen in dem dramatischen Kriminalfall um mutmassliche Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro. Vorgeworfen werden Braun derzeit "unrichtige Angaben" in den Wirecard-Bilanzen und Marktmanipulation, doch kommen auch andere Straftaten in Betracht - etwa gewerbsmässiger Betrug. "Wir führen unsere Ermittlungen ergebnisoffen", sagte Leiding dazu.
In dem Skandal könnte noch zumindest eine weitere Festnahme drohen. Auf die Frage, ob Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek nun ebenfalls per Haftbefehl gesucht werde, sagte Oberstaatsanwältin Leiding: "Das kann ich weder bestätigen noch dementieren." Die Frage, ob Marsalek sich auf der Flucht befinde, beantworteten die Ermittler nicht. Marsalek galt bei Wirecard als Brauns rechte Hand, war für das Tagesgeschäft verantwortlich und ist inzwischen gefeuert worden.
Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt bereits seit Wochen gegen Braun und Marsalek, allerdings ursprünglich lediglich wegen des Verdachts, Anleger in zwei Ad-hoc-Mitteilungen falsch informiert zu haben. Auch zwei weitere Wirecard-Vorstände sind zumindest in dieser Hinsicht unter Verdacht.
Nach Einschätzung der Münchner Ermittler gerieten keineswegs nur Wirecard-Mitarbeiter in Südostasien auf Abwege, sondern auch Mittäter in der Unternehmenszentrale im Münchner Vorort Aschheim - einschliesslich Braun. "Wir gehen davon aus, dass es einen hinreichenden Tatverdacht gibt", sagte Leiding dazu.
Auf die Staatsanwaltschaft kommen jedenfalls langwierige Ermittlungen zu. Wesentliche Vorgänge spielten sich in Singapur und auf den Philippinen ab, dort hat die deutsche Justiz weder Zugriff auf Verdächtige noch auf Zeugen oder Akten. Deswegen prüft die Staatsanwaltschaft Rechtshilfeersuchen.
Die Anzeichen deuten jedenfalls darauf hin, dass der kommissarische Wirecard-Chef James Freis aufräumen will. Seit Freis am vergangenen Freitag berufen wurde, hat das Unternehmen die mutmassliche Nichtexistenz der 1,9 Milliarden offen eingeräumt und Marsalek gefeuert, der wenige Tage vorher noch unter Brauns Regie lediglich suspendiert worden war.
Der US-Manager Freis ist vom Fach: Er leitete von 2007 bis 2012 im Washingtoner Finanzministerium die Einheit zur Bekämpfung der Finanzkriminalität. Ob der neue Wirecard-Chef auch bei den Ermittlungen gegen Braun mit konkreten Hinweisen behilflich war, liess Leiding offen: "Ich kann natürlich insbesondere in diesem Verfahrensstadium noch nichts so genau zu unseren Ermittlungsmassnahmen sagen."
Material von Dow Jones Newswires und awp international
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