"Taktisches Kaufsignal" |
04.08.2022 22:15:00
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Julius Bär-Chefstratege ist wieder bullish für Microsoft, Alphabet, Amazon & Co.: Darum dürfte sich ein Kauf von Wachstumsaktien lohnen
Die Tech-Highflyer waren neben den Kryptowährungen die Hauptleidtragenden des katastrophalen ersten Börsenhalbjahres: Anleger warfen angesichts von Zins- und Rezessionssorgen besonders riskante Assets aus ihren Depots. Dadurch haben sich die Bewertungen vieler Tech-Aktien deutlich verringert - und dies bietet gute Nachkaufchancen, meint Anlagestratege Mathieu Racheter von der Bank Julius Bär.
• Wachtumstitel könnten in den kommenden Monaten ein Comeback erleben
• Racheter vorsichtig optimistisch: Gute Signale, aber weiterhin viele Belastungsfaktoren
Tech-Investoren brauchten in den ersten Monaten des Jahres starke Nerven. Fing das Jahr mit neuen Rekordständen bei vielen Tech-Large Caps noch gut an, folgte anschliessend eine monatelange Tech-Tristesse, die sowohl durch weltweit steigende Leitzinsen als auch durch die Angst vor einer Rezession verursacht wurden. Die Gleichzeitigkeit beider Faktoren ist für Wachstumsaktien besonders problematisch. Spekulativere Titel wie Roku, Coinbase, Snap oder Peloton haben deshalb ebenso wie vermeintlich stabilere Tech-Riesen wie Netflix oder Meta partiell deutlich mehr als die Hälfte an Wert eingebüsst. Auch der heimische Computerzubehörhersteller Logitech hat sich von seinem Rekordhoch aus dem Juni 2021 inzwischen deutlich entfernt.
Doch einige Anlageexperten sehen vermehrt wieder Silberstreifen am Horizont des Tech-Aktienmarktes - so wie Mathieu Racheter von der Julius Bär-Bank. Welche Faktoren machen Racheter vorsichtig optimistisch?
Racheter: Die grössten Zinssprünge sind vorbei
Angesichts der höchsten Inflationsraten seit vierzig Jahren - in den USA betrug die Teuerung auf Jahresebene im Juni 9,1 Prozent, in Europa 8,6 Prozent - hat allen voran die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) den Gürtel enger geschnallt und die Leitzinsen rapide erhöht. Am 27. Juli verkündete Fed-Chef Jerome Powell bereits den zweiten Zinssprung um 0,75 Prozent beziehungsweise 75 Basispunkte. Der Kapitalmarkt reagierte jedoch sehr gelassen auf den letzten Fed-Zinsentscheid, in den vergangenen Tagen konnten sich die grössten Indizes in den USA und Europa von ihren Jahrestiefständen erholen. Racheter gibt im "cash"-Interview seine Erklärung dafür ab: Zum einen sei die Anhebung in den niedrigen Aktienkursen bereits "eingepreist" gewesen, manch Börsianer habe gar eine Erhöhung um einen ganzen Prozentpunkt für möglich gehalten. Zum anderen hätten Powells Aussagen für eine gewisse Erleichterung gesorgt: Er habe betont, "dass in den Konjunkturdaten erste Bremsspuren ersichtlich und damit die nächsten Zinsschritte nicht wirklich gegeben seien. Das weitere Vorgehen macht er von den kommenden Daten zur Inflation und Konjunktur abhängig", ordnet Racheter ein.
Inflation wird abnehmen - aber noch länger hoch bleiben
Racheter sieht damit den Höhepunkt des "quantitave tightening" (QT) - also der restriktiven Geldpolitik mittels der Erhöhung der Leitzinsen und der Verringerung der Fed-Haushaltsbilanz - in den USA überschritten. Für den September erwartet die Ökonomen der Julius Bär-Bank nur noch eine Erhöhung der Zinsen um 0,50 Prozent, für November nochmals um 0,25 Prozent. 2023 werde die Fed vorerst nicht mehr an der Zinsschraube drehen, vermutet Racheter. Sein Hauptgrund für diese Annahme liegt darin, dass er von einer "rückläufigen" Inflationsentwicklung ausgeht: "Wir sehen bereits jetzt, wie gewisse Probleme der Lieferketten sich beruhigen, während die Nachfrage etwas nachlässt. Dies bedeutet weniger Preisdruck. Zudem haben wir eine negative Sicht auf die weitere Entwicklung der Rohstoffpreise, die ein grosser Treiber des Inflationsanstiegs waren. In den USA erwarten wir im vierten Quartal 2023 eine Inflation von 3 Prozent, in der Eurozone eine von 2 Prozent." Neben der verbesserten Lieferkettensituation würden auch Basiseffekte greifen: Die Periode der enormen Rohstoffpreiszunahme sei vorüber, vielmehr tendierten die Preise für Öl und Kupfer zuletzt aufgrund der Konjunkturschwäche leicht bergab. Deshalb nimmt Racheter derzeit Abstand von den in den vergangenen Monaten gut gelaufenen Rohstoffaktien, denn: "In einer Rezession sind Aktien aus dem Rohstoffsektor (...) diejenigen, die man nicht im Portfolio haben will." Stattdessen sieht Racheter Anzeichen für die Öffnung eines "taktischen Fensters für Wachstums-Aktien".
Darum dürften die Wachstumsaktien wieder besser laufen
Racheter nennt zwei Hauptgründe für einen baldigen Wiederanstieg der Wachstumsaktien. Erstens könne sich die Fed mit dem Ende des rasanten Inflationsanstiegs wieder vermehrt auf das Wirtschaftswachstum konzentrieren. Zweitens sind die Zinsen von Anleihen in den letzten Wochen nicht mehr gestiegen, sondern waren leicht rückläufig. So liegen die Zinsen bei den zehnjährigen US-Staatsanleihen wieder bei deutlich unter drei Prozent. Auch für die kommenden Monate erwartet Racheter einen Beruhigung des Anstieg der Anleihenrendite, da die Leitzinsanhebungen der Fed hinlänglich eingepreist seien und die Rezessionstendenzen die Zinsen verringern.
Die Renditen der Anleihen sind gerade deshalb so wichtig für die Börsenentwicklung, weil in den vergangenen Monaten eine erstaunliche negative Korrelation zwischen dem Anstieg der Anleihenzinsen und dem Abschwung der Aktienmärkte beobachtet werden konnte. Sofern die Anleihenzinsen nicht mehr ansteigen, erhöhe dies die Wahrscheinlichkeit einer besseren Börsenentwicklung in den kommenden Monaten. In den USA ist diese Korrelation laut Racheter besonders gross, weil "Wachstumsunternehmen, bei denen einen Grossteil der erwarteten Cashflows in der ferneren Zukunft anfallen, dort so stark vertreten sind."
Diese Wachstumsaktien empfiehlt der Julius Bär-Chefstratege
In den USA konnte in den letzten Wochen bereits eine Rotation raus aus Value- hin zu Growth-Aktien beobachtet werden. Dieser Trend könnte, folgt man Racheters Prognose, durchaus noch anhalten: "In den USA ist eine Sektorrotation von Value zu Wachstumsaktien im Gange. Dies, weil die Realzinsen und die Inflation ihre Höhepunkte wohl erreicht haben. Es ist eine Opportunität für die nächsten Monate." Unter den Aktien, die Racheter und seine Kollegen für besonders aussichtsreich erachten, befinden sich hochprofitable Global Player à la Alphabet, Amazon, Microsoft, Visa und LVMH. Zur Vorsicht mahnt Racheter dagegen bei den wachstumsorientierten Small Caps, die einen hohen Fremdkapitalanteil aufweisen und noch keine Gewinne erzielt haben.
TARA statt TINA?
Zwischen 2009 und 2021 erfreute sich das Börsencredo "There is No Alternative" (TINA) einer hohen Beliebtheit unter bullish eingestellten Investoren. Dieses Mantra sei nun einer neuen Realität gewichen, nämlich "There are Resonable Alternatives" (TARA), wie es Goldman Sachs zuerst formulierte. Der Anstieg der Anleihenrenditen in den vergangenen Monaten habe dazu geführt, dass die Anlage in Aktien nicht mehr alternativlos sei. Dennoch: "Aktien sind aber noch immer die interessanteste Anlageklasse für langfristige Investoren, da sie gegenüber Anleihen immer noch relativ attraktiv sind. Das Problem bei den Anleihen liegt darin, dass die inflationsbereinigte Realrendite immer noch ziemlich tief oder zum Teil negativ ist. Für uns sind Anleihen nur zur Diversifikation des Portfolios interessant", verrät der Julius Bär-Chefstratege.
Racheter erkennt "taktisches Kaufsignal" - warnt aber vor verfrühtem Aktionismus
Für die Aktienmarktentwicklung in den kommenden Monaten ist Racheter vorsichtig optimistisch eingestellt. Die Börsenstimmung sei allgemein so schlecht, dass dies als ein "taktisches Kaufsignal" fungiert: Es "gilt das Motto: 'I'm so bearish that I'm bullish'. Wenn alle so negativ sind, ist der Moment für Aktien konstruktiv zu werten."
Nichtsdestotrotz sollen Anleger weiterhin vorsichtig am Kapitalmarkt investieren. Die Gewinnerwartungen der Unternehmen für die kommenden Quartale seien weiterhin noch deutlich zu hoch. Es sei noch nicht abzuschätzen, zu welchem Grad der toxische Cocktail aus galoppierender Inflation, steigenden Leitzinsen und schwacher Konjunktur den Unternehmen tatsächlich schade. Deshalb setzt die Julius Bär-Bank auf eine breite Diversifizierung, zu der neben profitablen Wachstumswerten und Anleihen auch defensive Aktien aus diversen Branchen wie Shell, AT&T oder Nokia gehören.
Bei diesen zwei Schweizer Aktien sieht Racheter grosses Kurspotenzial
Hinsichtlich der heimischen Unternehmen identifiziert Racheter zwei vielversprechende "Erholungskandidaten": Den Industriekonzern Georg Fischer und das Spezialitätenchemieunternehmen Sika. Bei beiden zyklisch ausgerichteten Unternehmen erwartet der Experte einen raschen Wiederanstieg, wenn die Konjunkturtalsohle durchschritten sein wird. Von einem Investment in Bankaktien - wie insbesondere von den momentan kriselnden Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse - rät Racheter dagegen ab, zu gross sei die Gefahr einer Gewinnverringerung wegen der momentan schwachen Konjunkturlage.
Redaktion finanzen.ch
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